Stadthund

Stadthund

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Die Freuden des Landlebens konnte Jack in den letzten Monaten vielleicht etwas zu ausgiebig genießen. Nun ist er bei uns in der Tierarzt Praxis in Stuttgart am Wormser Platz.

Was auch immer auf dem Boden liegt, wird angeknabbert. Und seine geliebten Knochen hat er strategisch verteilt, sodass er bei jeder denkbaren Spazierroute an einem vorbeikommt und sich kurz über den Überraschungsfund freuen kann. Vor allem aber hat sich bei ihm eine gewisse Selbstverständlichkeit, ja: Faulheit eingestellt. Von seinen Gelegenheitsausflügen abgesehen, verbringt er viel Zeit auf der Terrasse, nur manchmal bemüht er sich noch um einen wachsamen Blick. Oft aber schläft er einfach. Selbst sein Futternapf bleibt über lange Stunden halbvoll. Denn er weiß ja, dass er sich auch um sein Essen keine Sorgen machen muss.

Als Mensch aber macht man sich da Sorgen. Den meisten von uns ist beigebracht worden, dass wir ständig beschäftigt sein, Pläne haben und gestresst sein müssen. Wer nicht einmal am Tag hyperventiliert, bei dem stimmt irgendwas nicht. Aber wenn man dreimal den Gedanken hin und her gewälzt hat, ob der antriebslose Hund vielleicht depressiv ist, findet man sich damit ab: Nein, ist er nicht. Er ist einfach ein Hund. Und damit für den Müßiggang geschaffen.

Wenn er wieder in die Großstadt zurückkehren muss.

Denn das Faul-vor-dem-Haus-Rumhängen, so unsere Furcht, macht ja nur Spaß, wenn man jederzeit und unabhängig einen kleinen Ausflug machen kann. In der Stadt aber ist Jack unweigerlich an seine Herrchen gebunden. Seine Spaziergänge werden zwischen morgendliche Konferenzen, drängende Deadlines und abendliche Termine gequetscht. Zudem herrscht Leinenzwang.

Jack federt durch das nasskalte, als sähe er die Stadt zum ersten Mal. Einige Hunde im Viertel erregen eine so frische Wut, als habe er sich mit ihnen noch nie ein Bellgefecht geliefert. An jedem öffentlichen Wasserspender genehmigt er sich einen Drink.

Am deutlichsten ist seine Wiedersehensfreude mit dem urbanen Leben bei einer Schulklasse begrüßt er jeden einzelnen Jugendlichen (geschätzt die Hälfte von ihnen möchte ihn gleich mitnehmen), Ente und Bisamratten jagt er mit Feuereifer ins Wasser. Er schaut ihnen dann nur ganz kurz enttäuscht hinterher, denn er scheint sicher, dass die nächste Sensation schon auf ihn wartet. Wenn ich beobachte, wie Jack sich ins Großstadtleben stürzt, spüre ich unsere Seelenverwandtschaft.